Kehrel, Silvia
Wir gratulieren herzlich zum bestandenen Rigorosum
am 13.9.2011.
Thema der Dissertation:
""Möglichkeiten, Kindheit zu denken’: Darstellungen von Kindheit und ihre ideale Rezeption im mittelhochdeutschen Passional."
Stipendium nach dem Bayerischen Eliteförderungsgesetz (1. November 2007 - 30. April 2010).
Erstbetreuerin: Prof. Dr. Trude Ehlert
Zweitbetreuer:
Klasse in der Graduiertenschule: „Mittelalter und Renaissance“
Promotion in der Graduiertenschule seit WS 2007/2008.
Abstract:
Meine Dissertation leistet einen Beitrag zur Erforschung der Kindheit im Mittelalter. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht das Passional (um 1300), eines der ersten bekannten mittelhochdeutschen Verslegendare; daneben werden zu Vergleichszwecken zwei seiner Quellen herangezogen: Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine sowie die Kindheit Jesu des Konrad von Fussesbrunnen. Anhand ausgewählter Stellen aus dem ersten sowie dem dritten Buch des Passionals untersucht die Arbeit, welches Wissen über, welche Deutungsmuster und Vorstellungen von, welche Werte, Normen und Einstellungen in Bezug auf Kindheit einander in der idealen Rezeption dieser Texte durchdringen und durchkreuzen und somit ein spezifisches Set von ‚Möglichkeiten, Kindheit zu denken’, bilden.
Dies geschieht mit Hilfe eines detaillierten Analyseinstrumentariums, das im ersten Teil der Arbeit entwickelt und – basierend auf einer Verknüpfung kultur-, literatur- und kognitionswissenschaftlicher Ansätze – theoretisch fundiert wird. Es dient zum einen dazu, die von den Texten explizierten Denk- und Werteschemata aufzuzeigen; zum anderen ermöglicht es Rückschlüsse auf nicht-explizierte, aber von den Textstrukturen ‚geforderte’ Schemata. Dabei interessieren vor allem auch die Brüche, die in Bezug auf die gültigen Text- und Vertextungsregeln zu beobachten sind: Die ‚einbrechenden’ Denkschemata lassen sich als im idealen Rezeptionsprozess besonders ‚durchsetzungsfähig’ oder ‚dominant’ beschreiben. Im zweiten Hauptteil der Arbeit wird das entwickelte Analyseinstrumentarium auf ausgewählte Textstellen des Passionals angewendet, die Kindheitsdarstellungen beinhalten. Dabei zeigt sich immer wieder, dass gerade Werten, die dem ‚weltlichen’ Bereich der Textwelt zugeordnet sind, in der idealen Rezeption des Passionals unerwartet große Bedeutung beigemessen wird. In dieser Hinsicht erinnert das Passional an Texte der höfischen Literatur um 1300. Die betreffenden Strukturen ermöglichen es folglich im idealen Rezeptionsprozess des Passionals, die Texte mit Hilfe jenes Vorwissens zu erfassen, das auch für die Rezeption der höfischen Literatur – mit ihrem eher ‚weltlich’ geprägten Sitz im Leben – erforderlich ist. Auf dieser Basis lässt sich nach einem Zusammenhang zwischen der idealen Rezeption des Passionals und seiner historisch-realen Rezeption im Deutschen Orden fragen. Das letzte Kapitel der Arbeit demonstriert schließlich anhand eines Beispiels (Hartmann von Aue: Der arme Heinrich) die Übertragbarkeit der entwickelten Methodik auch auf mittelalterliche Erzähltexte außerhalb des Passionals.